BÜHNENVERSION // TELEGRAM EDITION
Ausgehend von einem fiktiven Mordfall und frei nach David Lynchs ikonischer Fernsehserie Twin Peaks hat sich das Theaterkollektiv vorschlag:hammer in die schweizer Kleinstadt Birsfelden begeben und dort mit den Bewohner*innen einen Krimi entwickelt und gedreht.
Eine Leiche wird am Ufer des Rheins gefunden. Eine lokale Ermittlerin und ein Kollege aus der Großstadt sind vor die Aufgabe gestellt, den Täter oder die Täterin unter den Bewohner*innen der Kleinstadt zu finden. Oder ist er*sie doch ein mystisches Es? Und wie geht es Angehörigen und Freund*innen mit dem Todesfall?
Zwischen Leihenspiel und performativem Theater, Fernsehfilm, Dokufiktion und Mystery befragt die Inszenierung die Kleinstadt und das Krimigenre, kommt ins Jugendzentrum, Fitnessstudio oder Senior*innenwohnheim um dort eine Vielzahl an Menschen kennenzulernen, springt von der Leinwand auf die Bühne und zurück und hangelt sich so humorvoll, trauernd und spannungsvoll von Cliffhanger zu Cliffhanger.
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In der Corona-Pause verlegt vorschlag:hammer die Inszenierung in einen Telegram-Chat. Während die filmische Ebene zwischen Fernsehfilm, Dokufiktion und Mystery jetzt einfach auf den Screens zuhause geschaut werden kann, verlegt sich das Bühnengeschehen auf Chats, Sprachnachrichten, Sticker und Videos, die live vor Publikum in das Programm performt werden.
Bei der fabelhaften “Aufführung” von Twin Speaks war wiederum Expertise in Sachen Messengerdiensten zentral. Das Erzähltheater von vorschlag:hammer läuft auf der Plattform Telegram und geriet in Anlehnung an den Mystery-Klassiker Twin Peaks von David Lynch zu einem Kriminalfall mit übernatürlicher Schlagseite. Er bewegt sich neben Chatnachrichten, Audiodateien, Memes usw. vor allem in geposteten Filmszenen fort, die in ihrer stoisch-absurden Skulpturalität wahres Vergnügen im Geiste Aki Kaurismäkis bereiten.
Der Standard, 19.04.2021
Für das – ausgefallene – Gastspiel am Berliner Ballhaus Ost wurde nun die Messenger-Variante kreiert. Die entpuppte sich als überraschend guter Wurf. Denn das Spähen in die Dorfgemeinschaft über die verschiedenen Audio-, Video- und Textnachrichtenfenster bereitete womöglich sogar mehr Freude, als es die Bühnenshow mit Leinwand oder Monitoren vermocht hätte. Reizvoll war vor allem das für die Plattform Smartphone charakteristische Spiel mit den Extrempunkten geografischer Distanz – zuweilen wurden sogar Standortdaten der Ereignisorte geliefert – und fast schon intimer Nähe, die sich durch die Video- und Audiobotschaften herstellte. (…)Als sehr reizvoll stellte sich bei dieser Messengerversion von Theater das Wechselspiel aus vorproduzierten Videos und Audiomessages, aus Livevideo und (vermutlich) live eingesprochenen Passagen und Textmitteilungen heraus. Schönes Extra waren die musikalischen Audiotakes, die man als eine Art Filmmusik selbst zu einzelnen Episoden hinzuholen konnte.
taz, 20.04.2020
Es ist eher ein Stück Digital-Absurd-Theater, bei dem sich in wunderlicher Weise das oft sympathisch hölzerne Laienspiel der Birsfeldener mit bizarrem Humor verbindet, Kleinstadtbetrachtungen mit mythischen Untertönen.(…) Und wandelte plötzlich Helge Schneider durchs Bild, würde man sich nicht wundern. Ein Glanzpunkt ist der Besuch der Ermittler in einem Seniorenheim, wo sich ein Komittee reifer Damen als Riege schier unsterblicher Dorfwächterinnen zu erkennen gibt, die schon immer hier waren und bei ihrer Erklärung dessen gerade noch die Dorfgeschichte rekapitulieren. Da treffen sich angeschrägter Humor mit mythisch unterfüttertem Grusel.(…) Das Konzept nun für Telegram umzubauen, ist so schlüssig wie gelungen, es entsteht ein Erzählfluss, bei dem man sich nicht als passiver Zuschauer empfindet.
Saarbrücker Zeitung, 23.05.2021
Der Humor kommt jedenfalls nicht zu kurz und sorgt gemeinsam mit der dennoch düsteren Stimmung (…) für einen kurzweiligen Abend.
Saarländischer Rundfunk, 22.05.2021
Diese Produktion, von deren Dramaturgie man sehr bald in Bann geschlagen ist, versöhnt trotz aller Mystery-Stimmung das klassische Krimi Format mit Social Media.(…) (Die) Theaterproduktion (schafft) wirklich ein Gemeinschaftsgefühl.
SRF 2, 22.05.2020 / Deutschlandfunk, 23.05.2020
„Twin Speaks“ von vorschlag:hammer (zeichnet sich) durch den opulenten Einsatz von Videos aus. Auch hier bot eine Kriminalstory um eine verschwundene Person das narrative Gerüst. Die Teilnehmer blieben selbst aber passive Beobachter und konnten nicht mit eigenen Initiativen in die Suche eingreifen. Die Sendefunktion war, abgesehen von zwei Pausensituationen, für die Dauer des Spiels ausgeschaltet. Die Verlagerung eines klassischen „Tatort“-Szenarios auf die Mixed-Media-Struktur von vorproduzierten Video- und Audiobotschaften sowie Livevideo und -audio plus Schriftnachrichten funktionierte aber tadellos. (…) Aufgrund der Filmszenen verknüpfte sich der dörfliche Alltag im Ereignisort Birsfelden sogar noch stärker mit der theatral-digitalen Fiktion. (…) Beide Games erzeugten einen technologisch erweiterten und narrativ wie emotional aufgeladenen Raum. Das coronabedingte Ausweichmanöver auf die Plattform Telegram zeigte in beiden Produktionen so große Potenziale auf, dass multimediale Messengerdienste auch in Zukunft zumindest Nebenspielstätten der Theater bleiben sollten.
Theater der Zeit, 06/2020
Aufs Herrlichste kulminieren der Hang zu Retro und die Verzauberung des Lokalen in dem Mystery-Dreiteiler “Twin Speaks”, den die Gruppe vorschlag:hammer Ende 2019 für das Roxy in der Baseler Vorstadt Birsfelden inszenierte und jetzt während der Corona-Schließzeit ebenfalls für die Messenger-App Telegram adaptierte. (…) (Man hat) es in “Twin Speaks” nicht mit einem Game zu tun, sondern mit einer ziemlich aufwändig gestalteten, live moderierten Multimediaerzählung. Videofilme, Audiofiles, Soundtracks für Hintergrundatmosphären, Memes, Textnachrichten – alles wird aufgefahren, um die mysteriöse Ermordung des Teenagers Andreas Birsfelder vor uns zu bringen. In den Pausen zwischen den Teilen findet das Publikum wie beim Foyergespräch zusammen und kann sich live in der App über den mutmaßlichen Mörder und das Geschehen überhaupt austauschen. Wie der Name schon nahelegt, wildert “Twin Speaks” mit Wonne beim Mystery-Klassiker “Twin Peaks” von David Lynch, borgt hier die Titelmusik, spielt dort auf Motive des Dämonismus an. In den Videos werden “Tatort”-Routinen auf die Schippe genommen, ein Hauch von Dada umweht die Dialoge der örtlichen Kommissarin und des angereisten Spezialagenten (“Rita, werden wir den Fall lösen?” – “Ich hoffe es.” – “Da sind wir schon zu zweit.”). Erdung garantieren diverse Laienspieler*innen, die man wie für eine gute Bürgerbühne in Birsfelden angeworben hat. Und hier, wo die Erzählung etwa zu den Schulfreund*innen des fiktiven Toten blendet, entstehen sehr eindrückliche, handgemachte Szenen per Video: Jugendansichten aus dem Discoalltag oder eine gänzlich unpathetische, wiewohl bewegende Trauerfeier mit Klaviermusik, die die drei engsten Verbündeten von Andreas Birsfelder im Stillen abhalten.
nachtkritik.de, 02.07.2020
Fast 300 Zuschauer folgen der Geschichte am Premierenabend und bleiben bis zum Ende dabei, offenbar fasziniert von der kleinteiligen Erzählstruktur. Die Telegram-Inszenierung (…) demonstriert die Kraft, die lustvolle Ausbrüche aus vertrauten Räumen entwickeln können.
Hannoversche Allgemeine Zeitung, 17.04.2020
Das interessanteste für mich war eine weitere Telegram Inszenierung. Die war ursprünglich fürs Theater gedacht und musste dann fürs erste Gastspiel umgeplant werden. Twin Speaks – mit ganz vielen Hommage Elementen an David Lynch, es hat die ganze Zeit diese Stimmung. Und das ist nur in den Pausen interaktiv, also da kann man sich in den Pausen ein bisschen unterhalten wie in einem Foyer. Und ansonsten verfolgt man den Chatwechsel der Hauptfiguren und da sind dann lynchartige surrealistische Filmsequenzen eingebettet.
Deutschlandfunk Nova 07.05.2020
Man saugt die wirkungsvoll aufgebaute Athmosphäre dieses merkwürdigen Orts auf und schwelgt darin.
WDR 5, 22.06.2020
In drei unterhaltsame Serien-Folgen haben sie den Abend gegliedert – in den Pausen dazwischen darf die Telegram-Gruppe im Chat rätseln, wer der Mörder sein könnte. In seiner Unmittelbarkeit hat das durchaus etwas vom Live-Moment des analogen Theaters.
Deutschlandfunk Kultur, 17.04.2021
Auch Gesine Hohmann und Kristofer Gudmundsson als Kommissarenduo stellen die Absurditäten so aus, dass der Gratgang funktioniert. Denn ein gemeinschaftliches Dorftheater beisst sich zumindest scheinbar mit der Ankündigung, die Ortsgemeinschaft sei «abgründiger, verschworener und zerrissener, als es zunächst anmutet».(…)
Die Profis spielen hauptsächlich live. Sie interagieren mit der Filmleinwand in der Bühnenmitte. Auf der Leinwand erzählen die Birsfelder Laien, was sie (nicht) wissen(…). Dieser gleichermassen spannende und hanebüchene Theaterabend ist eine freie Entwicklung nach der Mystery-Fernsehserie «Twin Peaks» von David Lynch(…) Selten war eine Theaterproduktion so geerdet, selten ein Premierenpublikum so durchmischt.
Basellandschaftliche Zeitung, 16.11.2019
Auch in Birsfelden gibt es skurillitäten, sie fallen einem nur erst auf, wenn David Lynchs Blick darauf geworfen wird. Alles in allem ein Spiel zwischen Illusion und Realität.(…) Wie merkwürdig, wie realistisch und wie abgründig Birfelden wirklich aussieht, kann man in der Bühnenserie Twin Speaks am Roxy Theater in Birsfelden sehen.
Radio X, 16.11.2019
Von und mit: Bernhard la Dous, Kristofer Gudmundsson, Gesine Hohmann, Malu Peeters, Paula Reissig, Stephan Stock und Birsfelder Bürger*innen
Assistenz: Nico Caccivio
Co-Editing: Lara Rodriguez Cruz
Fotos: Paula Reissig
Eine Produktion von vorschlag:hammer in Koproduktion mit dem Schlosstheater Moers und dem ROXY Birsfelden.
Gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes , Fachausschuss Theater & Tanz BS/BL